Die Rahmenbedingungen des Jahrgangs 2023 wurden in unserem entsprechenden Bericht bereits geschildert. Dieser gilt im Ergebnis als ein Jahr aller Gefahren und wird als solches in die Geschichte des Anbaugebiets eingehen. Ein ätzendes oder zumindest paradoxes Jahr, wie es der Londoner Weinhändler Cru Wine in seiner Analyse des Jahrgangs (Link) – Decanter spricht von einem «Rollercoaster vintage» (dt. Achterbahn-Jahrgang) (Link) – beschreibt.
Doch in jedem Jahrgang gibt es auch Trost. Es ist immer noch selten, dass alle Appellationen in einem bestimmten Jahrgang aussergewöhnlich erfolgreich sind. Die Jahre 2018-2020 und 2022 ändern nichts an dieser Tatsache. Noch seltener ist es, dass in einem komplizierten Jahrgang alle Appellationen versagen. Morey-Saint-Denis wurde 2016 auf wunderbare Weise gerettet. Es gab Frost in Chambolle-Musigny, Frost in Gevrey-Chambertin, aber Morey wurde verschont. Im Jahr 2023 ist der Jahrgang sehr weit davon entfernt, auch nur durchschnittlich zu sein. Man muss den Winzern vertrauen; auf der einen Seite denen, die in jedem Jahr gewissenhaft arbeiten, und auf der anderen Seite denen, die im 2015 versagt hätten (ja, ja, es gibt sie!). Eine Gemeinde an der Côte de Nuits scheint im aktuellen Stadium jedoch 2023 – ab Stufe 1er Cru – bevorzugt worden zu sein, wenn auch nicht flächendeckend (viele Villages sind angeblich wässrig): Gevrey-Chambertin. Gevrey hatte 2022 einen schweren Gewittersturm erlebt, der am 22. Juni die Keller überflutete. In seinem Angebot «2023» schreibt Alex Nussbaumer (Link), dass ihm Nicolas Rossignol von der Domaine Rossignol-Trapet Folgendes berichtet habe:
«Vegetationsverlauf wesentlich einfacher als 2022; zwar auch sehr warm und wenig Niederschlag, aber keine Stürme; mit der Hitze kam es zeitweilig zu hydrologischem Stress für die jungen Reben und auch zu Reifeblockaden (gestoppte Photosynthese ab ca. 35°C); generöser Traubenbehang trotz zweimaliger vendange verte.»
Die Weine
Sylvie Esmonin
Der Gevrey-Chambertin 1er Cru Clos-Saint-Jacques 2023 bestätigt seinen Rang als nicht deklarierter Grand Cru. Sehr frische, raffinierte, harmonische, zum Teil unergründliche, komplexe Nase mit einem sinnlichen Hintergrund und delikaten, reintönigen Düften nach dunklen Beeren und etwas Lakritze; die Trauben waren perfekt ausgereift, wurden auch nicht entrappt. Ein grosses Versprechen bietet sich da im Glas. Vollmundiger, straffer, raffinierter, sinnlicher und schlechthin geschmeidiger Gaumen mit einer lebhaften Säure, filigranen Tanninen, einem guten Mix von roten und schwarzen Beeren, floralen Komponenten sowie würzigen Elementen, viel Fleisch am Knochen, ohne irgendetwas an Eleganz einzubüssen. 18.25+/20 (94+/100).
Duroché
Der Gevrey-Chambertin 1er Cru Lavaux-Saint-Jacques 2023 zeigt sich zunächst sehr zurückhaltend, dafür sehr frisch und komplex. Was für eine verführerische Harmonie, eine grossartige Eleganz mit Schliff, Tiefe und potenziell Dichte in der Nase. Beeindruckend. Das Ganze bewegt sich im Bereich der roten Früchte, wobei dieses Erzeugnis aktuell nicht kommunizieren will. Kirschen, Orangenschale und Federwild lassen sich dennoch wahrnehmen, es erinnert mich an das Angebot von Alfred von Escher, dem «Artisan en Comestibles» (Link) in Zürich. Vollmundiger, rassiger, frischer und komplexer Gaumen, grosses Potenzial für dieses kräftige und vielversprechende Erzeugnis. 18.5+/20 (95+/100).
Denis Mortet
Der Chambertin (Grand Cru) 2023 von Denis Mortet will zum Zeitpunkt der Verkostung nicht wirklich kommunizieren, strahlt dafür durch seine subtile Kraft, die erst im Hintergrund richtig zum Vorschein kommt. Im Vordergrund fallen die Frische, die Reintönigkeit und der ausserordentliche Schliff dieses Erzeugnisses auf. Das ist eindeutig ganz grosse Kultur und zugleich ein grosses Versprechen für die Zukunft. Was ausserdem neben der Kraft beeindruckt, ist die Delikatesse sowohl im Bouquet als auch im Gaumen. Die Mineralität gilt als Rückgrat, sie begleitet die gleichen Früchte wie beim Charmes in der betörenden Nase und dient als Grundlage am Gaumen. Beeindruckender Mund, man wird mit einem präzisen, extrem reintönigen, filigranen Wein konfrontiert, der dennoch weiss, seine Kraft, seine Intensität und seinen athletischen, langanhaltenden Abgang verführerisch zur Geltung zu bringen. Könnte durchaus einer der Superstars der Appellation in diesem Jahrgang sein. 18.25-18.5/20 (94-95/100).
Bruno Clair
Zwei Drittel der Rebstöcke des Chambertin-Clos de Bèze (Grand Cru) 2023 wurden vor 1914 angepflanzt. Wieder ein Wein, der den Eindruck vermittelt, dass der Jahrgang 2023 bei Bruno Clair besonders sinnlich ausgefallen ist. Reduktive, frische, geschliffene, raffinierte, tiefe, reintönige und präzise Nase mit exquisiten und komplexen Düften nach kleinen roten Beeren, wobei auch schwarze Beeren im Hintergrund sind. Es ist wie ein Spaziergang im Wald. Das Bild wird mit Pfingstrosen, Orangenschale und Gewürzen abgerundet. Rundum eine traumhafte Nase. Vollmundiger, rassiger, mineralischer Gaumen mit wiederum den gleichen Düften, das Potenzial beeindruckt, es ist für Bruno Clair wieder ein genialer Jahrgang. 18.5+/20 (95+/100).